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Übungen, die den Kopf fit halten, können zugleich auch die Kaffee-Sensorik verbessern. Aber wie funktioniert das genau? Das soll dieser Blogpost aufzeigen. Aus den vielen Trainingszielen des Gedächtnistrainings suchen wir die wichtigsten für die Kaffee-Sensorik heraus. Dann erklären wir, wo genau der Zusammenhang besteht zwischen diesen Trainingszielen und der Kaffee-Sensorik. Dazu zeigen wir, was unserem Kaffee-Gehirn noch auf die Sprünge hilft und dass die ganze Idee nicht vom Himmel sondern in der Literatur schon seit 20 Jahren bekannt ist. Wollen wir?

So richtig neugierig geworden auf das ganze Thema sind wir mit einer einfachen Frage: Kann man assoziatives Denken lernen, um schneller und effektiver auf die richtigen Ausdrücke bei der Beschreibung von Kaffee zu kommen? Gibt es vielleicht konkrete Übungen dazu?

Wir hatten zwar den Vortrag von Ida Steen auf der World of Coffee in Budapest zum Thema Gedächtnistraining und Sensory Performance gesehen. Das war im Juni 2017 und schon wieder in Vergessenheit geraten. Als sich die Frage im April 2018 erneut aufdrängte.

Antworten fanden wir beim Bundesverband Gedächtnistraining und einem entsprechenden Kurs dazu.
Das sogenannte ganzheitliche Gedächtnistraining gliedert sich in 12 Trainingsziele. Im Einzelnen sind das:
Merkfähigkeit, Wortfindung, Logik, Wahrnehmung, assoziatives Denken (aha!), Zusammenhänge erkennen, Urteilsfähigkeit, Konzentration, Strukturieren, Kreativität & Fantasie, Formulierung, Denkflexibilität.

Trainingsziele und Kaffee-Sensorik

Wir suchen euch aus diesen Zielen die relevanten heraus, geben eine Definition und erklären den Zusammenhang zur Kaffee-Sensorik.

Assoziatives Denken

Definition: Verknüpfung neuer Informationen mit bereits gespeicherten
Beispiel: Wenn wir Kaffees verkosten kann diese Fähigkeit sehr nützlich sein, um sensorische Informationen aus dem Kaffee (z.B. Aroma, Flavour) mit bekannten Informationen wie den Geschmack von Kirsche oder Tabak zu verknüpfen.

Konzentration

Definition: Die ungeteilte Aufmerksamkeit für eine bestimmte Zeit auf eine Sache lenken.
Beispiel: Tief versunken ist das Cupping sein, keine Ablenkung gelten lassen, das ist Konzentration. Eine Fähigkeit, die sich auch bei Meisterschaften als wertvoll erweisen kann: Wer einmal auf der Bühne im Wettkampf stand, weiß, dass hier viele Ablenkungen lauern. Gleichwohl ist es auch eine hilfreiche Fähigkeit, wenn Röster ihre Tagesproduktion in aller Ruhe cuppen und bewerten. Ohne Konzentration schleichen sich hier Ungenauigkeiten ein.

Merkfähigkeit

Definition: Die Fähigkeit, Wahrnehmungen kurzfristig und langfristig zu speichern.
Beispiel: Wer einmal ein Cupping mit mehr als acht Kaffees mitgemacht hat, weiß, dass es nützlich sein kann, nach Kaffee Nummer acht noch eine Ahnung zu haben, wie Kaffee Nummer eins schmeckte. Übungen aus der Rubrik Merkfähigkeit können hier unterstützen. Langfristig kann es helfen immer neues Vokabular zur Beschreibung von Kaffee langfristig zu speichern.

Urteilsfähigkeit

Definition: Beurteilung einer Situation und treffen einer Entscheidung nach Abwägen aller bekannten Fakten.
Beispiel: Besonders, wenn wir Kaffee umfangreich bewerten sollen, kann diese Fähigkeit von großem Nutzen sein. Die Arbeit mit einem Cupping-Protokoll erfordert viele Entscheidungen: Wie viele Punkte gebe ich dieser Eigenschaft im Kaffee? Wenn am Ende die Frage steht: Kaufe ich diesen Kaffee für mein Sortiment, dann ist Urteilsfähigkeit im Spiel.

Wahrnehmung

Definition: Etwas bewusst mit einem, mehreren oder allen Sinnen aufnehmen.
Beispiel: Wie deutliche nehmen wir Süße, Säure, Bitterkeit, Umami und Salz wahr? Wie riecht das Kaffeemehl, welche Aromen nehmen wir beim Cupping wahr. Für alle diese Situationen ist eine gute Wahrnehmung nützlich. Wir nehmen Eindrücke bewusst wahr und können sie besser bewerten, besser abspeichern und besser wieder abrufen.

Wortfindung

Definition: Abrufen von Wörtern aus dem Wortspeicher und bewusst machen des eigenen Wortschatzes.
Beispiel: Diese Fähigkeit zu trainieren hilft uns den aktiven Wortschatz für die Beschreibung von Kaffee zu vergrößern. Je größer unser Wortschatz ist, desto mehr Alternativen stehen uns bei der Wortwahl zur Verfügung. Beschreibungen gehen uns einfacher von den Lippen. Ist es eher Erdbeere oder Rhabarber, was ich in meinem Kaffee wahrnehme? Oder Milchschokolade, Kakao oder doch Zartbitterschokolade?

Zusammenhänge erkennen

Definition: Neue Informationen in bestehende Wissensstrukturen integrieren und sinnvolle Zusammenhänge herstellen.
Beispiel: Vor allem in Gesprächen und dem kollegialen Austausch formen sich Fakten und Assoziationen zu Ketten und Puzzleteile fügen sich zusammen. Es entsteht der „Aha“-Effekt.

Sieben von zwölf Trainingszielen sind damit nützlich zur Verbesserung der Kaffee-Sensorik. Wer möchte, merkt sie sich, indem er die Anfangsbuchstaben zu einen Satz zusammenfügt. Bei mir sähe das Ergebnis so aus: Alle Kaffeetrinker Malen Und Wollen Weisse Ziegen.
Mit Übungen aus dem Gedächtnistraining können wir diese Fähigkeiten trainieren und verbessern. Dabei gibt es wenige Übungen, die gezielt nur einzelne Fähigkeiten trainieren. Die meisten Übungen kombinieren zwei oder mehrere Ziele, wenngleich oftmals ein Schwerpunkt zu erkennen ist.

Kann das jeder lernen?

Das Zauberwort lautet Neuroplastizität. Es bedeutet, dass unser Gehirn formbar ist. Und das bis ins hohe Alter! Je nach Anforderungen in unserem Leben, baut das Gehirn neue Synapsen auf, und bildet andere zurück. Einfaches Beispiel: Eine Sprache, die wir zu Schulzeiten gut beherrschten, aber heute nur noch lückenhaft erkennbar ist. Gleichzeitig können wir jederzeit jede neue Sprache lernen, die wir wollen. Zum Beispiel Kaffee-Vokabular aufbauen und trainieren. Das Gehirn baut sich für das Training die notwendigen Synapsen einfach auf. Die Antwort lautet also: Ja.

War das schon alles?

Fast. Um unsere Gedächtnisleistung langfristig zu verbessern oder zu erhalten, benötigen wir auch noch eine ausgewogene Prise Bewegung, Ernährung und Pausen. Erst alles zusammen und in einem ausgewogenen Verhältnis bringt uns nach vorne. Und den Spaß an der Sache sollten wir auch nie vergessen 🙂

Verbindung schon bekannt seit 1988

Die Verbindung von Sensorik und Gedächtnistraining wird unter anderem in einem Tagungsband zur Lebensmitteltechnik erörtert. Darin heißt es auf Seite 215:
„……(…), läuft die (afferente) Geruchsinformation in den Axonen der Mitralzellen zentralwärts am Riechstrang (Tractus olfactorius), der die olfaktorischen Erregungen an viele nachgeordnete Gehirngebiete vermittelt, u.a. an das für Emotionen und Gedächtnis wichtige Limbische System mit dem Hippocampus und Amygdala, ..(…) sowie zum hypothalamischen vegetativen Kernen. (…)“.

Kurz gesagt: Geruchsinformationen gelangen über verschiedene Stationen ins Gehirn mit seinen vielfältigen Komponenten.

Professor Dr. Goetz Hildebrandt geht ausführlicher auf die Verbindung zwischen sensorischer Wahrnehmung und der Verarbeitung aller Informationen im Gehirn ein. Im Buch „Geschmackswelten. Grundlagen der Lebensmittelsensorik“ von 2008 schreibt er spitz und auf den Punkt auf Seite 75: „Indem wir besser über das Bescheid wissen, was beim Geschmackskarnevel abläuft, können wir Strategien und Programme entwickeln, die uns helfen, das kulinarische Empfinden zu kultivieren und vielleicht sogar unser Gehirn fit zu halten“.

Anders gesagt: Wenn wir verstehen, was beim Essen und Trinken passiert, können wir unsere Wahrnehmung verbessern und vielleicht auch unsere geistige Fitness.

Mit freundlicher Genehmigung von Behrs Verlag dürfen wir zwei Abbildungen hier veröffentlichen, die ebenfalls einen Bezug zwischen Sensorik und Gedächtnistraining herstellen. Sie stammen aus dem Buch „Sensorik Handbuch Kompakt“ und sind auf Seite 152 und 153 zu finden. Es geht dabei um das Training eines Panels und darum die Teilnehmer dieses mit Übungen zu motivieren und fit zu halten.

Quellen:
Ganzheitliches Gedächtnistraining Ausbildungsmappe Grundkurs. Herausgegeben vom Bundesverband Gedächtnistraining e.V. 11. Auflage Januar 2018, Seiten 8 bis 11.

Geschmackswelten. Grundlagen der Lebensmittelsensorik. Herausgegeben von Goetz Hildebrandt. DLG Verlag, Frankfurt am Main, 2008.

Lebensmittelqualität: Wissenschaft und Technik / Wissenschaftliche Arbeitstagung
„25 Jahre Institut für Forschung und Entwicklung der Maizena Gesellschaft mbH“
in Heilbronn, 2.-4. März 1988. Hrsg. Rolf Stute.- Weinheim; Basel; Cambridge; New York; VCH, 1989

Praxishandbuch Sensorik Kompakt in der Produktentwicklung und Qualitätssicherung. Herausgegeben von M. Busch-Stockfisch. 1. Auflage 2015. Seiten 152 und 153